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Arbeiten von unterwegs

Dennis über den Sprung in die Selbstständigkeit

Inhaltsverzeichnis

Dennis, du hast es dir zur Aufgabe gemacht, Menschen dabei zu unterstützen, ihr eigenes digitales Business aufzubauen. Wie kamst du auf diese Idee und warum hast du dich ausgerechnet auf diese Nische spezialisiert?

Die Idee war schon immer da. Mein Co-Gründer Flo und ich haben uns 2012 im Studium kennengelernt. Was uns von Anfang an verbunden hat: wir waren jeweils beide für ein Work & Travel ein Jahr lang in Australien. Ein Jahr mit unfassbar schönen Erinnerungen und einer Freiheit, die wir wohl nie wieder in dieser Form im Leben haben würden. „Aber wieso eigentlich nicht?“, haben wir uns gefragt.

Es folgte bei uns daraufhin zunächst doch der klassische Weg: Bachelor, Master, verschiedene Jobs und Karriere halt. Aber wir wussten, dass da noch mehr sein muss. Nicht falsch verstehen: wir sind beide enorm zielstrebige Typen, aber eben auf eine lockere Art. Daher wussten wir immer, dass das klassische Angestelltenverhältnis mit festen Arbeitszeiten und den immer gleichen Laufbahnen nichts für uns ist.

Wir haben nach dem Studium damit angefangen, Webseiten und Onlineshops für andere zu bauen und Werbeanzeigen zu schalten. Klassisches E-Commerce. Dabei ist uns aufgefallen, dass es neben uns noch unzählige andere gibt, die über die Arbeitswelt genauso denken wie wir und dass es unfassbar Spaß macht, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und sie dabei zu unterstützen, ihre persönlichen Ziele zu erreichen. Unsere Gemeinsamkeit war der Wunsch nach Selbstbestimmung und Unabhängigkeit und mehr Zeit für die Dinge zu haben, die uns wirklich wichtig sind. Und all das lässt sich heutzutage super mit einem eigenen digitalen Business verwirklichen!

Das Schönste daran ist aber, dass es den meisten nicht darum geht, einfach nur möglichst viel Geld zu verdienen, sondern um die Aussicht auf ein erfülltes Leben. Daran mitzuwirken haben wir seitdem uns zur Aufgabe gemacht.

Bist du selbst jemand, der gern und viel reist? Wo lebst du momentan und hast du bestimmte Reisepläne für die Zukunft?

Wenn jemand von „ortsunabhängigem Arbeiten“ spricht, ist man sofort gedanklich in der Hängematte und bei fernen Stränden (liebe Grüße an Jule Hoff auf Bali, die du ja auch interviewt hast!).

Und so gibt es digitale Nomaden, die alle 2 Wochen ihr Airbnb wechseln und andere, so wie mich, die zwar einen festen Ort als Anker bevorzugen, aber auch gern mal länger weg sind. In Deutschland fühle ich mich in Mannheim und Frankfurt Zuhause, aber je nach Lust und Laune fahre ich auch mal für einen Monat oder länger weg. Für diesen Winter ist bei mir ein warmes Land in Planung.

Ansonsten habe ich schon einiges von der Welt gesehen. Aber die Liste an Reiseerfahrungen, die ich in Zukunft noch machen möchte, wird dadurch nicht kürzer: tauchen auf den Azoren, Husky-Tour in Lappland, Islands Naturwunder bestaunen – es gibt viel zu erleben!

Umso besser, wenn man nicht nur eine Woche Urlaub hat, sondern so lange an einem Ort bleiben kann, wie man möchte. Außerdem erhält man durch längere Aufenthalte auch immer einen besseren Einblick in die Kultur des Landes. Das ist nicht nur entspannend im Hinblick auf die eigene Arbeitsatmosphäre, sondern auch im Hinblick auf die Eingewöhnung an einen völlig fremden Ort.

Welche Frage im Hinblick auf Remote Work stellt dir deine Kundschaft am häufigsten? Was antwortest du ihnen?

Ganz klar: „Ich will mein eigenes Ding machen, aber weiß nicht was und wie“ – das „Was“ ist hier entscheidend. Viele verspüren den Wunsch nach einem ortsunabhängigen Job und springen direkt in die erste Möglichkeit, die sich bietet. Aber ob das sinnvoll ist? Für uns macht das Prinzip „Hauptsache raus aus dem aktuellen Job“ keinen Sinn. Im schlimmsten Fall arbeitet man dann für jemand anderen remote, was einen dann möglicherweise auch nicht erfüllt.

Genau deswegen erarbeiten wir gemeinsam mit unserer Kundschaft eine individuelle Geschäftsidee, die die Stärken, Fähigkeiten, Wünsche und Ziele unserer Kunden berücksichtigt und miteinander kombiniert. Gemeinsam finden wir ein nachhaltig motivierendes „Warum“.

Das „Wie“ aus der Ursprungsfrage greifen wir auch auf. Denn nach der Ideenfindung geht es Schritt für Schritt an die Umsetzung. Das bedeutet: Positionierung und Angebot herausarbeiten, sich Marketing- und Social Media-Skills aneignen, Wissenswertes rund um Gründung und Co. lernen. Unser Ziel ist es, dass unsere Teilnehmer ihre ersten Kunden innerhalb von 8 Wochen gewinnen.

Andere Kunden sind schon weiter und eventuell auch schon seit Jahren freiberuflich als Dienstleister tätig. Hier fangen wir nicht bei den Basics an, sondern erarbeiten gemeinsam eine Digitalisierungsstrategie, professionalisieren die Social Media-Accounts und erstellen einen gigantischen Marketingfunnel!

Neben deiner Selbstständigkeit veröffentlichst du auf LinkedIn auch gesellschaftliche Beiträge, die zum Nachdenken anregen. Welche Dinge schießen dir sofort in den Kopf, die du in unserer Gesellschaft gern ändern würdest?

Die meisten Menschen haben in ihrem Job keine Aussicht auf Homeoffice, geschweige denn auf Remote Work. Für beides muss sich politisch und rechtlich einiges ändern.

Stichwort Arbeitszeitgesetz: Viele vergessen, dass sie auch im Homeoffice Ruhezeiten einhalten müssen. So muss nach Beendigung der Arbeit eine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden folgen. Das bedeutet: abends noch etwas arbeiten, weil man das schöne Wetter mittags für einen Ausflug genutzt hat und dann am nächsten Morgen ganz früh wieder anfangen? Das geht nach aktueller Rechtslage nicht, auch wenn es „geduldet“ wird. Geht nicht. In dieser Hinsicht setze ich einige Hoffnungen an die Ampelkoalition.

Ansonsten fällt mir auch sofort das bedingungslose Grundeinkommen ein, um das wir in Zukunft nicht drumherum kommen werden.

Viele Menschen haben Angst vor dem Sprung ins kalte Wasser und verzichten daher auf die Flexibilität, die mit einer Selbstständigkeit einherkommt. Was würdest du diesen Menschen raten?

Diese verdammte Komfort-Zone! Ich weiß, dass es schwer wirkt, sie von sich aus zu verlassen. Das Gehalt kommt jeden Monat auf das Konto, es gibt 30 Tage Urlaub im Jahr, man hat sonstige Verpflichtungen und außerdem: wie viele aus dem Freundes- und Bekanntenkreis kennt man überhaupt, die diesen Schritt gewagt haben?

Mein Rat: wenn du weißt, dass dein Job dich nicht erfüllt und dass du einen flexibleren Lebensstil führen möchtest, dann musst du den ersten Schritt gehen! Es ist auch vollkommen in Ordnung, das Ganze nebenberuflich zu starten. Du musst deinen aktuellen Job nicht sofort kündigen und alles auf eine Karte setzen.

Was mich in diesem Kontext sehr wütend macht: Bei der Gründersendung „Die Höhle der Löwen“ kamen einige Deals nicht zustande, weil rauskam, dass die Gründer noch angestellt sind. Ihnen wurde vorgeworfen, dass sie nicht „voll hinter ihrer Idee stehen“. Was für ein Quatsch! Darüber habe ich sogar mal einen Post auf LinkedIn gemacht.

Die Erkenntnis, etwas an seinem Leben ändern zu wollen, ist der erste Schritt. Suche dir Menschen, die dich auf dem Weg unterstützen. Von Elon Musk kann man halten, was man will, aber dieses eher unbekannte Zitat gefällt mir in dem Zusammenhang sehr gut:

„Instead of baby showers, let’s host a business shower. When a friend starts a business, we all come together, celebrate them and bring resources to their business.”

Wenn das bei uns so selbstverständlich wäre, würde sich der Blick auf das Thema Selbstständigkeit meiner Meinung nach wesentlich ändern.

Welche Vor- und Nachteile bringt eine Selbstständigkeit mit sich?

Selbstbestimmung, Freiheit, Persönlichkeitsentfaltung – mir fallen nur Vorteile ein. Denn an den Nachteilen kann man aktiv arbeiten. Unternehmer:in zu sein bedeutet nämlich auch, Aufgaben abgeben zu können.

Zu viel Administrationsaufwand? Buchführung und Steuern ausgliedern. Finanzielle Unsicherheit? Hier braucht es einen Funnel, der nachhaltig funktioniert. Ziel ist es ja, dass Kunden auf einen zukommen, ohne dass man „hoffen“ muss, dass es in diesem Monat wieder klappt.

Das man wahrscheinlich in der Selbstständigkeit mehr „arbeitet“ als in einer 35-Stunden-Arbeitswoche, insbesondere am Anfang, finde ich nachvollziehbar. Man arbeitet ja aktiv an seinem Traum. Und mit Leidenschaft an etwas dran zu sein, ist für mich keine Arbeit im klassischen Sinne, sondern Selbstverwirklichung.

Nichtsdestotrotz muss man schauen, dass man sich auch Zeit für sich, für Familie und für Freunde nimmt und das Leben genießt. Natürlich ist die Selbstständigkeit manchmal hart und auch nicht für jeden das richtige Arbeitsumfeld. Der wesentliche Punkt ist jedoch, dass ich es für mein Leben, meine Zukunft und letztendlich auch meinen Geldbeutel mache. Ich denke, das sind gute Gründe, um die Extrameile zu gehen, oder?

Für mich sind Lernfähigkeit, komplexe Probleme lösen, Flexibilität, kritisches Denken, Kreativität und Eigeninitiative absolute Future Skills. Und weniger das Abarbeiten von Aufgaben, die andere mir auferlegen. Für mich überwiegen in der Selbstständigkeit daher ganz klar die Vorteile.

In unserer Gruppe für digitale Nomaden auf LinkedIn, wo du auch Mitglied bist, sprechen viele Menschen über das Arbeiten und Leben im Ausland. Was denkst du, wie relevant dieses Thema in der Arbeitswelt der Zukunft sein wird?

Remote Work und die Zukunft der Arbeitswelt sind für mich untrennbar miteinander verbunden. Es mag zwar nicht für alle Branchen gelten, aber durch die Pandemie ist die Zukunft der Arbeitswelt schon ziemlich spürbar Gegenwart geworden.

Hier dreht sich alles um Mitarbeiterzufriedenheit: selbst wenn einem der Job an sich gefällt – warum morgens zur Arbeit und abends nach Hause pendeln, wenn es auch anders gehen könnte? Und warum an einem Ort leben, der einen nicht erfüllt?

Wir sprechen in diesem Zusammenhang oft vom Ausland, aber Remote Work und Ortsunabhängigkeit bedeuten auch, in die Kleinstadt zur Familie zu ziehen, anstatt in der Großstadt leben zu müssen, nur der Nähe zum Arbeitsort wegen.

Mein Statement: der Schreibtisch ist tot. Das Büro als Ort oder das Zusammentreffen des Teams als Ganzes ist nur dann sinnvoll, wenn es uns etwas ermöglicht, was das Virtuelle nicht abbilden kann.

Welche drei Tipps kannst du Start Ups und anderen Unternehmen geben, die auf Remote Work umsteigen wollen?

Laut Studien ist mehr als jeder dritte Job in Deutschland remote-fähig. Also, worauf warten wir? Hier sind einige Dinge, die nach meiner Erfahrung beachtet werden sollten:

1. Infrastruktur anpassen: Schaut, dass technisch alle Mitarbeitenden mitgenommen werden. Sei es seitens der Hardware (Laptop, gute Kopfhörer oder Mikrofon) oder seitens der Software. Zoom, Microsoft 365, Google – hier müssen alle fit und geschult sein. Dann macht das Ganze auch doppelt so viel Spaß.

2. Erfolgskultur etablieren und die richtigen Formate nutzen: Was mich schon immer gestört hat, ist diese Vielzahl an unnötigen Meetings. Versucht Meetings auf ein Minimum zu reduzieren und setzt auf erfolgsorientiertes Arbeiten. Es braucht nicht x Meetings und Absprachen. Lieber Ziele abstecken und machen lassen.

Gleichzeitig muss klar definiert sein, wann sich etwas per Chat klären lässt, wann zum Beispiel ein Kanban-Board zum Einsatz kommt oder wann es tatsächlich mal ein Meeting braucht.

Es ist aber auch an Team-Building zu denken! Ein mögliches tägliches Format könnte sich „Digital Coffee Call“ nennen und eine Gelegenheit bieten, 10-20 Minuten über alles Mögliche zu quatschen, was nichts mit dem Job zutun hat. So lernt man sich besser kennen als in den 2 Minuten in der Kaffeeküche früher. Die Teilnahme sollte aber keine Pflicht darstellen.

3. Remote Work leben: Auf Remote Work umzusteigen ist das eine, sich aber völlig darauf einlassen, etwas ganz anderes. Es ist ein langer Weg, der mit allen gemeinsam gegangen werden muss, denn mit den Konsequenzen der Unternehmensentscheidungen müssen alle Arbeitnehmer:innen leben. Im besten Fall führen solche Entscheidungen zu einem Umdenken in der gesamten Unternehmenskultur.

Denkt auch immer daran, insbesondere diejenigen mitzunehmen, die noch Zweifel an New Work haben. Da helfen zum Beispiel auch kostenlose Zugänge weltweit zu Coworking-Spaces, wie z.B. WeWork.

Falls eure Unternehmen diesen Weg aber nicht gehen wollen, denkt immer dran, dass ihr selbst entscheiden könnt, von wo, mit wem und wann ihr arbeiten möchtet – weil wir alle Möglichkeiten der Welt haben, uns selbst zu verwirklichen. Dafür braucht es nur einen ersten Schritt.

Vielen Dank für das Interview, Dennis!

Dennis Eichler

ist Founder der outofoffice.academy, Social Media- und E-Commerce-Experte. Er brennt für die Themen Selbstständigkeit und New Work und hilft anderen dabei, ihr digitales Business aufzubauen und auszuweiten.

Su Reiter

arbeitet ortsunabhängig als Marketing Director in einer Online Rechtsberatung und führt auf diesem Blog die Interviews mit digitalen Nomaden. Sie hat die erste Austauschgruppe für digitale Nomaden im deutschsprachigen Raum auf LinkedIn ins Leben gerufen.

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