Elias als Cross-Border-Jurist zwischen Düsseldorf, Paris und Berlin
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Elias, du hast deutsches und französisches Recht studiert und pendelst als Research Associate zwischen Paris, Düsseldorf und Berlin. Was genau machst du beruflich?
Ich habe deutsches und französisches Recht an der Université CY Cergy-Paris (vormals Université de Cergy-Pontoise) und an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf studiert. Mein Schwerpunkt lag damals beim Arbeits- und Wirtschaftsrecht.
Durch Praktika und insbesondere durch ein Traineeship in Frankreich bin ich 2018 auf das Datenschutzrecht aufmerksam geworden. Damals war die Anspannung wegen des Inkrafttretens der EU-DSGVO besonders groß. Ich durfte mich um die interne DSGVO-Compliance des Unternehmens kümmern. Das hat mir so viel Spaß bereitet, dass ich mich entschieden habe, weiter in diese Richtung zu gehen. Aus diesem Grund habe ich internationales IT-Recht an der Vrije Universiteit Amsterdam studiert. Neben diesem Studium war ich als Datenschutzrechtsberater in einer Düsseldorfer Großkanzlei tätig.
Nun arbeite ich in der Forschung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität der Künste Berlin im Rahmen der dort in Kooperation mit dem Einstein Center Digital Future ansässige Professur für digitale Selbstbestimmung. Im Rahmen dessen arbeite ich an verschiedenen Projekten mit Bezug auf Datenschutz- und IT-Recht sowie Data Governance.
Das für mich Wichtigste davon dürfte freeMove sein, ein vom BMBF gefördertes Projekt zur Verfügbarmachung von Bewegungsdaten für nachhaltige urbane Mobilität. Da kümmere ich mich insbesondere um die Umsetzung des Data Protection by Design-Ansatzes durch Datenminimierung bzw. funktionale Anonymisierung. Mein besonderes Augenmerk liegt dabei auf die Möglichkeiten der Zertifizierung von Anomysierungsmethoden.
Nebenbei arbeite ich an meinem eigenen Forschungsprojekt. Ganz konkret geht es um die Frage, wie Verantwortliche (im Sinne der DSGVO) die Anforderungen der DSGVO (insbesondere des Data Protection by Design-Ansatz) umsetzen können, um daraus einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen. Hier wieder sind Zertifizierungen für mich von großer Bedeutung. Dieses Projekt ist also an der Schnittstelle zwischen Jura, BWL und Innovationsforschung.
In unserer Gruppe für digitale Nomaden hast du erzählt, dass du 100 % aus dem Homeoffice arbeiten kannst. Wie kommt es, dass das in der eher konservativen Rechtsbranche möglich ist?
Das ist wahr, ich wohne im schönen Düsseldorf und arbeite aus dem Home-Office für Berlin. Das liegt sicherlich an der Wissenschaft, wo ich den Eindruck habe, dass Remote Work viel mehr verbreitet ist als in der privaten Wirtschaft. Der wissenschaftliche Diskurs findet im Datenschutzrecht auf europäischer (und internationaler) Ebene statt: Video-Meetings sind also Alltag.
Es ist sicherlich auch zu berücksichtigen, dass meine Forschungsgruppe sich intensiv mit Technologie befasst. Mein Vorgesetzter und Mentor, Max von Grafenstein, ist davon überzeugt, dass das Home-Office eine Chance ist und nicht unbedingt eine Einschränkung.
Ich habe den Eindruck, dass die Corona-Pandemie viel bewegt hat und dass die private Wirtschaft langsam auch sieht, dass das Home-Office viele Möglichkeiten bieten kann – nicht nur für Arbeitnehmer:innen, sondern auch für Unternehmen.
Für mich funktioniert das prima. Die Arbeit im Home-Office ermöglicht es mir, mein Leben in meiner Heimat (Versailles, Frankreich) und in meiner Wahlheimat Düsseldorf zu vereinen. So freut sich die Familie, dass man oft zu Besuch sein kann. Um Heimweh zu vermeiden und vor allem für das Essen (!) lohnt es sich natürlich auch, öfter nach Frankreich zu fahren!
Du sprichst viele Sprachen. Welche sind das und wie hilft dir das im Alltag weiter?
Französisch ist meine Muttersprache und ich beherrsche Deutsch schon länger, weil ich eine zweisprachige Schule besucht habe. Daneben spreche ich Englisch (es ist heutzutage unvermeidbar) und Portugiesisch. Neulich habe ich mit Arabisch angefangen, da ich selbst halber Algerier bin und gerne die eigene Sprache aus Familiengründen lernen möchte.
Sprachen zu sprechen bedeutet für mich Freiheit. Diese Freiheit kann man sich schwer vorstellen, wenn man nur die Muttersprache spricht. Zum Beispiel haben mir meine Deutsch-Kenntnisse ermöglicht, schon mit 17 nach Wien auszuwandern und dort zu studieren.
Auch mein Studium und die Entdeckung meiner Wahlheimat Deutschland wäre nicht möglich gewesen, hätte ich nicht Deutsch gekonnt. Klar wäre das Leben in Frankreich auch schön gewesen. Jedoch ist die Erfahrung, es in einem anderen Land zu wagen und dort Fuß zu fassen, unglaublich schön. Man lernt eine ganz andere Kultur kennen und setzt sich jeden Tag mit Themen auseinander, die in der Heimat nicht unbedingt relevant wären – selbst im Nachbarland!
Auch Englisch zu sprechen war hilfreich, denn so konnte ich in den Niederlanden studieren. Durch diese Sprache kann ich auch am internationalen wissenschaftlichen Diskurs im Datenschutzrecht teilnehmen. Warum nur Texte aus dem eigenen Land lesen, wenn 26 anderen in der EU auch etwas zu teilen haben!
Was denkst du, kommt das Thema „Cross-Border-Juristen“ im Jurastudium zu kurz? Es sind ja oftmals nur die klassischen juristischen Berufe im Vordergrund.
Definitiv! Sei es in Frankreich oder in Deutschland: Fremdsprachen (selbst Englisch!) sind im Jurastudium keine Priorität. Das ist schade, denn ausgerechnet die EU ist eine Rechtsgemeinschaft und lebt vom Austausch. Alle sollten die Gelegenheit haben, einen Auslandsaufenthalt (zum Beispiel Erasmus) zu machen – leider wird dies von Jurastudierenden oft nicht in Anspruch genommen, weil die Angst vor verpasstem Lernstoff oder die Vorbereitung für das Staatsexamen wichtiger ist. Das ist natürlich verständlich, hängt aber damit zusammen, dass das Studium nicht international gedacht ist.
Sowohl Frankreich als auch Deutschland sind EU-Mitgliedsstaaten. Gibt es trotzdem große Unterschiede innerhalb den Rechtssystemen?
Es gibt sicherlich fachliche Unterschiede zwischen beiden Ländern, die je nach Rechtsbranche größer oder kleiner sind. Da beide Zivilsysteme sind, wäre der Unterschied mit einem Commonwealth-System natürlich größer.
In meinem Fachgebiet Datenschutz ist nun die DSGVO anwendbar und de facto hat eine Harmonisierung stattgefunden. Dabei liegen die Unterschiede eher in den jeweiligen Strategien der Aufsichtsbehörden, ihre eigene Interpretation des Textes und ihre Ansichten, als im Gesetz an sich.
Zum Beispiel beschäftigt sich die französische Aufsichtsbehörde (CNIL) auch mit Grafikdesign und mit der Schnittstelle zwischen Human-Computer-Interaction und Datenschutzrecht für die Umsetzung von Transparenzmaßnahmen. Bisher scheinen die deutschen Behörden andere Schwerpunkte zu haben. Ein weiteres Beispiel ist die Strenge der jeweiligen Datenschutzbehörden: Die Luxemburgische Aufsichtsbehörde hat sich beispielsweise schon an die GAFAM getraut, wo die Irische noch (sehr) zögerlich ist.
Wie wichtig ist dir der interkulturelle Austausch?
Der interkulturelle Austausch ist mir sehr wichtig. Mein algerisch-französischer Hintergrund hat mir vor Augen geführt, dass Kulturen, die von zu vielen als unvereinbar betrachtet werden, doch friedlich und vor allem wohlwollend miteinander leben können. Die EU ist doch das beste Beispiel dafür: Durch interkulturellen Austausch hat man die friedlichste Epoche unserer gemeinsamen Geschichte erreicht.
Ich bin davon überzeugt, dass der interkulturelle Austausch das einzig Wichtigste ist, denn wie traurig wäre eine Welt, in der alle in ihrer eigenen Blase leben würden? Was für Möglichkeiten würden uns dabei entgehen? Jede neue Begegnung birgt einen positiven Gedankentausch – daher habe ich Freund:innen überall auf der Welt.
Diese Überzeugung hat mich dazu gebracht, mich aktiv für mehr Austausch stark zu machen. Zum Beispiel im Rahmen des Deutsch-Marokkanischen Zentrums für Rechtsvergleichung, welches von einem engen Freund aus Marokko erfunden wurde und wo ich stellvertretender Vorsitzender bin.
Wir sind auch dabei, eine neue Organisation zu gründen: das Euro-Mediterranean Legal Center. Das Ziel ist es, Jurist:innen rund um das Mittelmeer zu vernetzen (d.h. zum Beispiel aus der EU, Maghreb-Staaten, Türkei und so weiter).
Über eine Reform im Jurastudium wird seit Jahren diskutiert. Welche drei Punkte würdest du am Jurastudium ändern, wenn du könntest?
Der erste Punkt wäre definitiv die Einführung eines Bachelor-Master-Doktor-Systems, wie im Bologna-Vertrag vorgesehen. Von allen EU-Ländern sind Deutschland und Österreich meines Wissens nach die einzigen, die dies nicht im Jurastudium eigeführt haben (oder nur teils).
Das ist sehr schade, denn es ist ein unglaublich großes Hindernis für Master-Absolventen aus dem Ausland, die in ihren Herkunftsländern Jura studiert haben und in Deutschland aber nicht als Jurist:innen angesehen werden. Auch für deutsche Jurist:innen kann das relevant werden, denn es ist zum Beispiel in einem sehr komplizierten und auf Spezialisierung ausgelegten System wie in Frankreich auch nicht klar, was für einen Schwerpunkt die Absolvent:innen haben. Das erschwert die Jobsuche. Zum Beispiel könnte man ein Master of Laws bei erfolgreichem Bestehen des ersten Staatsexamens erteilen. Dieses wäre EU-weit anerkannt und würde für mehr Transparenz und gegenseitige Anerkennung sorgen.
Es wäre auch wichtig, Sprachkenntnisse als wesentlichen Bestandteil des Studiums zu integrieren und nicht nur als „nice to have“. Nur dadurch wächst die Neugier, andere Länder zu bereisen!
Als letzter Punkt würde ich mich wünschen, dass mehr transnationale Fächer angeboten werden. In meinem Studium wurden grenzüberschreitende Fragestellungen nur im Arbeitsrecht besprochen (z.B. die Entsendung von Arbeitnehmer:innen). Das ist sehr schade, denn in jedem Rechtsgebiet können grenzüberschreitende Fälle auftauchen.
Auch die Komplexität und Stofflastigkeit der ersten juristischen Prüfung finde ich persönlich problematisch. Der derzeitige Kurs scheint jedoch eher in Richtung „schwieriger“ zu gehen als „einfacher“. Aber ist schwierig wirklich besser? In diesem Fall bin ich eher für „weniger ist mehr“.
In den Niederlanden konnte ich beobachten, wie „open book exams“ ganz normal sind: Zu den Prüfungen dürfen eigene Notizen und Bücher mitgenommen werden, sogar das Skript von den Lehrkräften wird toleriert! Die Idee dahinter ist, dass man später im Beruf sowieso mithilfe von Suchmaschinen und Kommentaren arbeiten wird – warum sollte man alles auswendig können? Ich finde diese Herangehensweise gut und würde bezweifeln, dass niederländischen Jurist:innen dadurch weniger anspruchsvoll ausgebildet werden: Es ist nur eine Frage der Philosophie hinter dem Studium.
Du setzt dich auch mit technologischen Themen auseinander. Was begeistert dich daran und wie schlägst du die Brücke zum Recht?
Seit meiner Kindheit interessiere ich mich für Technologie. Wie man über „Juristenfamilien“ spricht, scheint es auch „IT-Familien“ zu geben! Viele meiner Verwandten sind im IT-Bereich tätig, da war ich mit meinem Jurastudium eine der wenigen Ausnahmen.
Die Technologie geht rasant voran und alles dreht sich heutzutage um Daten, vor allem die personenbezogen. Da kann die Gesetzgebung nur schwer mithalten: Die ePrivacy-Verordnung ist dafür ein Paradebeispiel, denn sie war eigentlich gemeinsam mit der DSGVO gedacht. Neue technologische Möglichkeiten bringen ständig neue Fragestellungen mit sich, wie etwas autonomes Fahren oder künstliche Intelligenz. Dies ist eine Chance für junge Jurist:innen, denn dieses Rechtsgebiet ist noch wenig erforscht.
Vor allem die ethischen Aspekte der Data Governance und IT-Regulierung finde ich spannend. Wenn man ein Leben lang Sci-Fi-Filme wie Matrix und I-Robot guckt, hinterlässt das Spuren. Wird die Maschine ihre Freiheit auf unsere Kosten erlangen?
Was sind deine Reisepläne fürs nächste Jahr? Könntest du dir auch vorstellen, in einem französischsprachigen Land außerhalb der EU remote zu arbeiten?
Noch bin ich mit dem Reisen zwischen Düsseldorf, Berlin und Paris gut beschäftigt. Ich könnte mir vorstellen, nach Wien, Lissabon oder Dublin für einige Monate zu ziehen. Außerhalb der EU wäre im Moment schwierig wegen der Zeitzone, denn wir arbeiten eng im Team zusammen und die Tätigkeit in der Wissenschaft bringt sehr viele Meetings mit sich.
Sollte ich wieder auswandern (sei es für wenige Monate), würde ich gerne französischsprachige Länder vermeiden, denn einer der spannendsten Aspekte für mich sind die Herausforderungen, die Fremdsprachen mit sich bringen. Eine Ausnahme würde ich jedoch für Kanada machen: Ich wollte schon immer nach Montréal!
Vielen Dank für das Interview, Elias!
Elias Belgacem
ist Jurist, Research Associate und Gründer/Vorsitzender des Euro-Mediteranean Legal Center sowie stellv. Vorsitzender des Deutsch-Marokkanischen Zentrums für Rechtsvergleichung. Er arbeitet am liebsten remote zwischen Düsseldorf, Paris und Berlin.
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