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Arbeiten von unterwegs

Dr. Anton Barrein über das Recht auf Homeoffice

Inhaltsverzeichnis

Anton, du hast deine Dissertation über das Thema „Das Recht auf Homeoffice“ geschrieben. Wie kamst du auf dieses Thema?

Eigentlich recht unspektakulär. Ich habe Anfang 2019 in einem Arbeitsrechts-Blog einen Hinweis auf die Pläne des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil gelesen, dass er ein Recht auf Home-Office schaffen will. Da die Digitalisierung der Arbeitswelt „das“ Zukunftsthema im Bereich des Arbeitsrechts ist, habe ich mich gemeinsam mit meinem Doktorvater Prof. Dr. Felipe Temming, LL.M. dazu entschlossen, dieses Thema einmal umfassender zu untersuchen. Den „Hype“ speziell um das Thema Home-Office aufgrund der Corona-Pandemie konnte ich diesem Zeitpunkt noch nicht erahnen.

Bei einem so politisch-brisanten Thema musste ich immer damit rechnen, dass die Pläne des Gesetzgebers geändert oder angepasst werden. Das hat mich schon sehr gefordert, aber auch viel mit einfließen lassen in die Endversion.

Die Arbeit von Dr. Anton Barrein ist mittlerweile veröffentlicht und steht unter diesem Link zur Verfügung: Das Recht auf Home-Office: Handlungsspielräume und Grenzen des Arbeits- und Sozialversicherungsgesetzes für die digitalisierte Arbeitswelt 4.0

Welche Fragen haben dich in deiner Dissertation am meisten beschäftigt? Warum?

Zentral habe ich mich natürlich gefragt, welche verfassungsrechtlichen Grenzen einem gesetzlichen Anspruch auf Home-Office gesetzt sind. Denn letztlich soll ein solches Recht erreichen, dass nicht nur der Arbeitnehmer mit dem Home-Office ein Benefit beanspruchen kann, er soll es nach den bisherigen Plänen im Zweifel sogar auch gegen den Willen des Arbeitsgebers durchsetzen. Ein solches Recht müsste ebenfalls den nicht unmaßgeblichen Eingriff in die unternehmerische Freiheit des Arbeitgebers abwägen.

Aus dieser Interessenlage folgt notwendigerweise, dass der Anspruch nur mit begrenzenden Voraussetzungen Sinn macht. Genau diese Voraussetzungen wollte ich ermitteln, um dann zu schauen: Wie sinnvoll ist ein Rechtsanspruch des Arbeitnehmers überhaupt noch, wenn er an viele – für den juristischen Laien schwer feststellbare – Voraussetzungen geknüpft ist?

In der Praxis wären viele anwaltlich begleitete Auseinandersetzungen zu befürchten, wie man sie bereits zu dem ähnlich komplexen gesetzlichen Teilzeitanspruch (§ 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz) beobachten kann. Das geschieht immer dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht auf individuell verhandelte Regelungen zurückgreifen können.

Du hast Jura studiert und dich unter anderem auf das Arbeitsrecht spezialisiert. Was sagt das Arbeitsrecht über Homeoffice?

Zu Homeoffice speziell sagt das Arbeitsrecht – abgesehen von den Corona-Arbeitsschutzvorschriften – (noch) eigentlich gar nichts. In der Arbeitsstättenverordnung, also ein Teil des Arbeitsschutzrechts, steht sogar noch der angestaubte Begriff „Telearbeit“.

Auch, wenn es angesichts der laufenden Diskussion erstaunt, bereits jetzt können viele bestehende Gesetze auf die Arbeitsorganisationsform Home-Office angewendet werden. Es handelt sich ja erst einmal um Arbeitsleistungen, die im Rahmen eines Arbeitsvertrages erbracht werden und daher in den Geltungsbereich des Arbeitsrechts fallen. Der Gesetzgeber sollte allerdings darüber nachdenken, ob eine Klarstellung in dem einen oder anderen Fall sinnvoll ist, um die Anwendung der Vorschriften zu erleichtern.

Dies hat er unter anderem im Unfallversicherungsrecht im Sommer 2021 getan, als sich in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Schutzlücken für im Home-Office Arbeitende gezeigt hatten. Zeitgleich hat der Gesetzgeber auch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Ausgestaltung – nicht jedoch der Einführung – von mobiler Arbeit gesetzlich geregelt.

Ein konkreter Rechtsanspruch auf Home-Office lässt sich allerdings – außer in extremen Ausnahmefällen – bislang noch nicht aus dem Gesetz ableiten.

Remote Work ist ein brisantes Thema, das die Arbeitswelt seit Jahren beschäftigt. Welche Entwicklungen nimmst du hier wahr?

Als ich 2019 begonnen habe, mich intensiv mit dieser Thematik zu beschäftigen, gab es deutlich weniger Arbeitnehmer, die im Home-Office arbeiten konnten. Trotz der schon zu diesem Zeitpunkt fortgeschrittenen Digitalisierung vieler Arbeitsprozesse galten sie teilweise sogar noch als Sonderlinge.

Einige (vor allem kleinere) Unternehmen waren IT- und datenschutztechnisch gar nicht in der Lage, sinnvolle Konzepte anzubieten, ohne rapide Produktivitätseinbußen zu riskieren. Erstaunlich, wie viele dieser Vorbehalte durch die Corona-Pandemie „über Nacht“ aufgelöst wurden.

Mittlerweile sieht die Praxis sich mit weitreichenderen Wünschen konfrontiert: Arbeitnehmer streben nach „Workation“ und digitale Nomaden wollen überall auf der Welt arbeiten. Betrachte ich die Arbeitsleistung alleine, ist das bereits zum Teil möglich. Die Konzeption derartiger Modelle sollte aber aus arbeitsrechtlicher und insbesondere steuerrechtlicher Perspektive nicht undurchdacht erfolgen.

Welche rechtlichen Probleme gibt es im Hinblick auf Remote Work? Und wie lassen sich diese lösen?

Rechtliche Probleme gibt es natürliche viele, da das Arbeitsrecht in seiner historischen Form diese Entwicklung der Digitalisierung und seiner ortsungebundenen Tätigkeiten nicht vor Augen hatte. Dies gilt gerade mit Blick auf die Statusfrage (wer ist Arbeitnehmer und wer Selbständiger?) oder das klassische Arbeitsschutzrecht, wie das Arbeitszeitgesetz oder die Arbeitsschutzvorschriften.

Hierzu sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer genaue Regelungen treffen, die die gegenseitigen Rechte und Pflichten abbilden. Das kann sowohl in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Arbeitsverträgen stattfinden und dient auch der besseren Zusammenarbeit, sodass der Workflow profitiert. Im Übrigen müsste der Gesetzgeber die Tarif-, Betriebs- und Arbeitsvertragsparteien – bspw. durch Mustervereinbarungen – besser unterstützen, selbst geeignete Vereinbarungen zu verhandeln. Ein Rechtsanspruch auf Home-Office für den Arbeitnehmer schafft dabei Spannungen und entspricht nicht der modernen Zusammenarbeit, die der Dienstleistungssektor vorlebt.   

Welche Chancen und Risiken bietet Remote Work für unsere Gesellschaft, abseits von den rechtlichen Aspekten?

Dazu gibt es mittlerweile recht viele Untersuchungen, die ich auch in meiner Arbeit gegenübergestellt habe. Es zeigte sich, dass Chancen und Risiken sehr einzelfallabhängig sind und maßgeblich von der jeweiligen Führungskultur abhängen. Gleichzeitig ist die Arbeit aus dem Home-Office aus meiner Sicht ein ganz wichtiger gesellschaftlicher Baustein, um Pflege, Erziehung und die Inklusion zu erleichtern und zu flexibilisieren. Alles zahlt auf das Konto Diversität bei Unternehmen ein. Andererseits sind Risiken, wie der Abbruch sozialer Kontakte und der mögliche damit verbundene Zusammengehörigkeitsverlust oder schlechtere Aufstiegschancen zu berücksichtigen.

Insbesondere auf dem Rechtsmarkt ist Remote Work noch sehr unüblich. Was denkst du darüber?

Vorrangig sehe ich hier die Vorbehalte gerade aufgrund datenschutzrechtlicher Unsicherheiten. Anwälte sind, wie auch andere Berufsgruppen, Berufsgeheimnisträger. Das geht natürlich mit strengeren Sicherheitskonzepten einher, die es erschweren sich bspw. in freie WIFI-Netze einzuwählen oder ohne Blickschutzfolie im Zug zu arbeiten. Auch zuhause dürfen Familienmitglieder keinen Zugriff auf Mandantendaten erhalten.

Zweitens erbringen Juristen in der Regel hochpreisige Dienstleistungen. Gerade für Generationen außerhalb der „digital natives“, die derzeit im Übrigen aufgrund ihres Alters meist in den Führungspositionen „traditioneller“ Unternehmen sind, geht das mit einem persönlichen Kontakt einher. Der persönliche Kontakt schafft höheres Vertrauen, was Remote-Work-Konzepte im Rechtsmarkt nicht vernachlässigen dürfen. Ein teures Auto oder eine Uhr kaufe ich schließlich auch eher selten, ohne einen persönlichen Eindruck vom Verkäufer zu haben.

Wie stellst du dir als junger Jurist deinen Traum-Arbeitsplatz vor?

In einer Atmosphäre, die alte und neue Strukturen mischt. Da sehe ich Büros und Kanzleien noch als notwendig an, um dem Mandanten auch die persönliche Vertraulichkeit zu bieten. Viele Tätigkeiten, wie Vertragsprüfungen oder Schriftsätze an Gerichte, könnten ortsflexibel erbracht werden, wenn sie nicht sogar vollständig automatisiert werden.

Juristische Arbeitgeber stehen ansonsten vor den gleichen Herausforderungen wie alle anderen: Hierarchien müssen neu gedacht werden, damit die Prozesse weiterhin strukturiert und effizient bleiben, wenn der „persönliche Zugriff“ fehlt.

Welche Ideen und Wünsche hast du für den Rechtsmarkt der Zukunft?

Da Legal Tech, also die Automatisierung von juristischen Dienstleistungen, nicht mehr wegzudenken sein wird, läuft das für mich auf einen Spagat hinaus. Und zwar zwischen Regulation und Öffnung der strikten Regeln für Anwälte aus dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) und inwieweit künstliche Intelligenz Anwälte (ihre standardisierten Tätigkeiten) überflüssig machen wird.

So frage ich mich, sicher gemeinsam mit der kommenden Juristengeneration: Schaffe ich es, meine automatisierten Dienstleistungen in einem bestimmten Segment erfolgversprechend zu vermarkten, gegebenenfalls mit Partnern, oder biete ich eine individuelle Leistung an, die keine KI besser erfüllen kann. Es wird klar, dass die juristischen Kernkompetenzen dabei nur noch Grundvoraussetzungen sind. Um erfolgreich zu sein, muss ich auf IT- und Marketing-Ebene besser gestern als heute ein hohes Verständnis mitbringen.

Was sind deine Pläne für die Zukunft?

Als erstes möchte ich mein Referendariat im Herbst 2022 beenden. Danach werde ich versuchen, die theoretischen Erkenntnisse meiner Dissertation in die arbeitsrechtliche Praxis umzusetzen und meine Tätigkeit als Anwalt beginnen.

Vielen Dank für das Interview, Anton!

Dr. Anton Barrein

hat Rechtswissenschaften mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Sozialrecht studiert. Nach dem ersten juristischen Staatsexamens promovierte er zum Thema “Das Recht auf Homeoffice”. Die Veröffentlichung steht hier ab sofort zum Kauf zur Verfügung.

Seitdem ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Rechtsreferendar tätig.

Su Reiter

arbeitet ortsunabhängig als Content Marketing-Expertin für juristische Unternehmen und führt in ihrer Freizeit Interviews mit digitalen Nomaden. Sie hat die erste Austauschgruppe für digitale Nomaden im deutschsprachigen Raum auf LinkedIn ins Leben gerufen.

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